IKL: Wir stehen am Anfang der Wärmewende in Deutschland. Was sind die Hindernisse? Wo sind Optimierungen erforderlich?
Dr. Knapek: Das größte Hindernis in Deutschland war bisher die Diskrepanz zwischen Vorhersehbarkeit dessen, was kommen wird und vorausschauendem politischen Handeln. Seit 1971 wussten Öl und Gas fördernde Konzerne – ab 1980 sogar weltweit alle – was mit unserer Atmosphäre passieren wird, wenn wir die fossilen Energierohstoffe in Verbrennungsprozessen verwenden. im französischen Konzern Total ging man 1971 von einer CO2-Konzentration von 400 ppm im Jahr 2010 aus. 2015 wurde diese Grenze tatsächlich überschritten. Alle Konzerne der fossilen Energie hatten Mitte der 80er Jahre intern schon Klimamodelle erarbeitet, die diejenigen z.B. der NASA in Ihrer Auswirkung auf den Planeten Erde sogar übertrafen. Ähnlich wie Papst Urban VIII die nachweisbaren Erkenntnisse der Erdlaufbahn von Kopernikus bis Galilei nicht anerkannte, taten dies die CEO der fossilen Energiekonzerne mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Klimaforscher. Ebenso wie im 17. Jahrhundert der Papst sahen die CEO ihr Geschäftsmodell höchsten Gefahren ausgesetzt, wenn das alles öffentlich bekannt wird. Die Beschwichtigungen wie: alles sei noch nicht 100-%-ig bekannt, es müsse noch mehr geforscht werden etc. setzte sich leider auch in der Politik durch, die ihre Aufgabe darin sah, das bisher äußerst erfolgreiche Wirtschaften aufrecht zu halten. Das fällt uns jetzt alles auf die Füße. Die stets viel zu billigen Rohstoffe für die Wärmeerzeugung taten ein Übriges: Insbesondere die Erdgasnutzung für das Heizen zu verstärken und eher die alternativen Möglichkeiten für die Stromerzeugung – nach Ausstieg aus der Kernenergie – zu fördern. Das im Jahr 2000 eingeführte EEG sah ebenfalls nur eine Förderung der Stromerzeugung mit Tiefengeothermie vor und nicht die Intensivierung der Wärmenutzung. Seit 2000 hatten wir deshalb nur eine Stromwende, aber weiterhin unglaubliche Subventionen von fossiler Energie für die Wärmeerzeugung und Mobilität. Die Politik folgte so eher der Einflussnahme der fossilen Wirtschaft und nicht den Empfehlungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst in Institutionen wie dem Umweltbundesamt. Nachdem es jetzt fast zu spät ist, kommt die Wärmewende ins Spiel, um den bisherigen Anteil an Erneuerbarer Wärme von konstant ca. 17% so aufzustocken, dass man 2045 klimaneutrale Wärme in Deutschland zur Verfügung hat.
Es ist durch neue Studien des Fraunhofer IEG und des LIAG – wie bereits der Studie für Technikfolgenabschätzung TAB im Jahr 2003 entnommen werden kann – ein sehr gutes geothermische Wärmepotenzial vorhanden, dass bei Nutzung des gesamten Untergrunds mit Oberflächennaher, Mitteltiefer und Tiefer Geothermie ca. 80 % des Wärmebedarfs abgedeckt werden kann. Das muss jetzt umgesetzt werden.
Für die Geothermie muss eine nationale Strategie erstellt werden, mit der man dieses Ziel erreicht. Die kürzlich erfolgte Antragstellung der CDU-Bundestagsfraktion: „Deutschland-Pakt für die Geothermie“ ist endlich der erste Schritt zu einer nationalen Strategie, für die alle Fraktionen zusammenarbeiten müssten. Dazu gehört die Stärkung der Kommunen, denn Wärme wird im Wesentlichen in Kommunen verteilt/benötigt. Den Kommunen wird auch jetzt die Wärmeplanung auferlegt. Dazu gehören finanzielle Absicherungen für etwaige Bohrungen, bestenfalls Fündigkeitsversicherungen, eine Ausstattung mit Bürgschaften für die kreditfinanzierte neue Infrastruktur. Dazu muss auch eine stetige Anpassung der bestehenden Förderinstrumente BEW und BEG erfolgen. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob besonders in strukturschwachen Gebieten neben Kapitalkostenförderung auch eine Betriebskostenförderung für eine festgelegte Frist notwendig sein wird. Dringend erforderlich ist auch die Einstufung der Geothermie als „Energie von überragendem öffentlichem Interesse“ und deren Privilegierung im Außenbereich. Begleitet muss dies durch einen sofortigen Stopp von Subventionen für fossile Energie werden und durch eine dynamische Bepreisung von CO2 Emissionen auch von Heizungen, die nicht am ETF- System teilnehmen. Mit den Einnahmen aus den CO2-Abgaben könnte man Mittel für die Finanzierung/Subventionen rekrutieren, um damit zügig die bisher massiv verschleppte Wärmewende zu beschleunigen. Im Gegenzug könnte der vermehrte Einsatz von CO2-freier oder CO2-neutraler Wärme Einfluss haben auf die Standards beim Errichten von Gebäuden haben. Durch die CO2-Freiheit der Heizung könnten Standards für die Wärmeisolierung von Gebäuden auch auf ein finanzierbares Niveau gesenkt werden.
IKL: Naturschutz und Tiefengeothermie: Wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Naturschutz und Tiefengeothermie aus?
Dr. Knapek: Bisher gab es bei fast allen Projekten der Tiefen Geothermie nur UVP-Vorprüfungen, mit denen festgestellt wurde, dass eine UVP nicht notwendig ist. Ein Bohrplatz von ca. 1 ha Fläche ist ebenfalls bezüglich schützenswerter Arten relativ einfach zu untersuchen und dann entsprechend nutzbar zu machen. Nach Abschluss der Bohrarbeiten wird die später für den Betrieb notwendige Fläche reduziert und falls nötig wieder entsiegelt. Zudem sind für die genutzten Flächen ökologische Ausgleichsflächen anzulegen.
Der Bohrplan ist vom Bergamt zu genehmigen und dessen Umsetzung wird vom Bergamt penibel überwacht, so dass Kontaminationen der durchbohrten Grundwasserschichten ausgeschlossen werden können. Die Verrohrung der Bohrung muss gegenüber dem durchbohrten Gebirge wasser- und gasdicht einzementiert werden. Dafür sind jeweils Nachweise zu erbringen, bevor weitergebohrt werden darf. Dazu sind noch Lärmschutzauflagen zu erfüllen sowie Sicherheitszonen bezüglich eines eventuell umstürzenden Bohrturms einzurichten.
Beim Betrieb der Tiefengeothermieanlagen können induzierte seismische Effekte eintreten, insbesondere bei der Injektion des abgekühlten Thermalwassers. Dies trifft im Wesentlichen bei Anlagen im Oberrheingraben zu. Für die Vermeidung von zu hohen seismischen Magnituden > M2 wurde ein Messsystem eingebaut, mit dem beim Überschreiten der festgelegten Schwellwerte die Förderung aus der Produktionsbohrung gedrosselt bzw. eingestellt wird, bis die Situation vollständig geklärt ist.
Das Thermalwasser wird auch in einem quasi geschlossenen Kreislauf von der Produktion zur Injektion gefördert und wird stofflich nicht genutzt. Es wird nur die Wärme über Wärmetauscher entzogen. Somit kann auch an der Oberfläche keine Kontamination durch das Thermalwasser erfolgen. Infolge der Injektion des gesamten geförderten Thermalwassers bleiben auch die Druck- und Mengenverhältnisse im Untergrund konstant, so dass sich nicht wie bei Erdgasentnahme instabile Hohlräume im Untergrund bilden, die zu einer Senkung der Erdoberfläche führen können, wie dies in den Niederlanden im Bereich von Groningen derzeit der Fall ist. Geothermie ist übrigens die Erneuerbare Energie mit dem geringsten Flächenverbrauch auf der Erdoberfläche und trägt durch die CO2-Freiheit zum Klimaschutz und damit zum grundlegenden Umweltschutz für alle Arten bei.