Unsere dänische Ferieninsel Fanö liegt direkt vor dem Nordseehafen und Industriestandort Esbjerg. Die Gegensätze könnten hier wie dort nicht größer sein: So naturnah und beschaulich das Inselleben auf Fanö ist, so hochtechnisiert und dynamisch ist die Energiewirtschaft in der Hafenstadt Esbjerg. Seit vielen Jahren ist Esbjerg Dreh- und Angelpunkt der dänischen Offshore-Windparks: Im Hafen werden Teile für Windkraftanlagen gelagert und verschifft. Zahlreiche Unternehmen für den Bau und die Wartung von Offshore-Anlagen haben sich angesiedelt. Nicht zuletzt entstand in Sichtweite der Insel Fanö einer der ersten dänischen Offshore-Windparks mit 99 Windturbinen.
Doch schon 30 Jahre zuvor setzte Esbjerg Maßstäbe in der Energiewirtschaft: Das 1992 errichtete Kraftwerk Esbjerg ist ein Steinkohlekraftwerk direkt am Hafen. Der Schornstein ist mit 250,24 Metern der höchste Dänemarks (zum Vergleich: der Fernmeldeturm in Kiel ist „nur“ 230 Meter hoch). Das Kraftwerk hat eine elektrische Leistung von 378 Megawatt und sichert die Stromversorgung von ganz Jütland. Außerdem deckt das Kraftwerk etwa die Hälfte des Fernwärmebedarfs von Esbjerg.
Doch im Juni 2024 ist Schluss. Wie will Esbjerg in Zukunft seinen Strom- und Wärmebedarf decken? Strom wird heute durch zahlreiche Offshore- und Onshore-Windkraftanlagen erzeugt und kann die elektrische Leistung des Kohlekraftwerks ersetzen. Für die Wärmeversorgung der Stadt wird derzeit eine Großwärmepumpe installiert, die Seewasser als Wärmequelle nutzt. Die Großwärmepumpe wird zukünftig bis zu 4000 Liter pro Sekunde (!) aus der Nordsee entnehmen, um ca. 3°C abkühlen und in 700 m Entfernung wieder einleiten. Mit einer thermischen Leistung von 50 MW ist sie die bisher weltweit größte Wärmepumpe und verwendet mit Kohlendioxid als Kältemittel. Insgesamt soll die Anlage jährlich ca. 235 GWh Wärme liefern und gleichzeitig die Dekarbonisierung der Energieversorgung durch Sektorkopplung vorantreiben, indem Windstrom für die Wärmeversorgung genutzt wird.
Esbjerg hat sich zum Ziel gesetzt, in sieben Jahren (!) klimaneutral zu sein. „Unsere Stadt hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu werden, und die neue Wärmepumpenlösung wird ein wichtiges Element sein, um dieses Ziel zu erreichen“, sagt Jesper Frost Rasmussen, Bürgermeister von Esbjerg. Mit der Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung trage man dem Ziel Dänemarks Rechnung, aus der Kohle auszusteigen, und sorge gleichzeitig für den Erhalt des dänischen Wattenmeeres, ergänzt Anders Linde, Vorstandsvorsitzender von DIN Forsyning.
Und nicht zu vergessen: Die Tage von Dänemarks höchstem Schornstein – dem „Weißen Riesen“ – sind gezählt. Auf seinen CO2-Ausstoß können wir alle gut und gerne verzichten.
Das Beste kommt zum Schluss: Auch die Stadtwerke Kiel planen eine Großwärmepumpe für die Landeshauptstdt Kiel und werden die Kieler Förde als Wärmequelle nutzen.
JE/EBE